03. März 2023, 15:16 Uhr

Weder Vertuschung noch Enthüllung

03. März 2023, 15:16 Uhr
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Aus der Redaktion
Seit 2018 hat Manfred Gerber für das Buch recherchiert. Zeitweise stand die Veröffentlichung auf der Kippe.

Wiesbaden - Die drei Herren machen keinen Hehl daraus: Das Projekt, ein Buch über die hundertjährige Geschichte der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Wiesbaden herauszugeben, stand zwischenzeitlich auf der Kippe. »Wir haben uns gefragt, ob es der richtige Zeitpunkt ist für eine Jubiläumsschrift«, sagen der Vorsitzende der Wiesbadener AWO, Franz Betz, und AWO-Geschäftsführer Bastian Hans. Und Buchautor Manfred Gerber berichtet über Gespräche im Jahr 2020, als die Medien voll waren mit Skandalberichten über die AWO. Zusammen mit dem damaligen Vorstand habe er überlegt, das Projekt, das Ex-AWO-Chefin Hannelore Richter initiiert hatte, zu stoppen.

Am Ende, so sagt der Journalist und Historiker, sei man jedoch zu dem Schluss gekommen: »Das AWO-Buch muss es geben - mit einem Kapitel, in dem der Skandal ebenso thematisiert wird wie die Rettung der Wiesbadener Arbeiterwohlfahrt durch Insolvenz in Eigenregie.« Schließlich gehe es um ein Jahrhundert AWO-Geschichte. »Eine weite Spanne«, wie Hans Betz sagt. »Da sollten die letzten fünf Jahre nicht die Sicht auf Jahrzehnte erfolgreicher Arbeit verstellen.«

Viele historische Aufnahmen

Fragen, ob er ein Enthüllungsbuch oder ein Vertuschungsbuch geschrieben habe, bekam Autor Manfred Gerber oftmals zu hören. »Weder das eine noch das andere«, sagt der 69-Jährige. Der fast 200 Seiten starke Band mit dem Titel »Trotz alledem«, angelehnt an das sozialkritische Lied der 1848er Revolution, sei ein historisches Buch, das die Entwicklung der Arbeiterwohlfahrt in Wiesbaden vom mitgliederorientierten Verband zum mittelständischen Unternehmen nachzeichne - inklusive aller Querverbindungen zur Geschichte der lokalen SPD und der Stadtpolitik. Gerber spricht von einem »Geschichtsbuch aus neuer Perspektive«, für das er seit 2018 recherchiert und mehr als ein Dutzend Archive durchforstet habe. 40 Leitz-Ordner standen ihm alleine im AWO-Archiv zur Verfügung, um die Geschichte des Verbandes von seiner Gründung am 23. Januar 1923 bis heute nachzuvollziehen.

Stolz ist Manfred Gerber auf die vielen historischen Fotos, die er zusammengetragen hat und die die einzelnen Kapitel illustrieren. Vom turbulenten Start der Wiesbadener Arbeiterwohlfahrt im Krisenjahr 1923 über die Zeit zwischen den Weltkriegen, die NS-Zeit und den demokratischen Neubeginn nach 1945. Er habe ein Buch geschrieben, das von der Not der kleinen Leute erzähle, sagt Manfred Gerber. Und von den wirksamen Hilfen eines rührigen Vereins, der sich im Laufe von Jahrzehnten zu einem Sozialunternehmen entwickelt habe, das sich verselbstständigte und spätere Missbräuche auf Führungsebene erst möglich machte. Im Kapitel »Der Skandal« ist von exorbitant überzogenen Gehältern der ehemaligen Geschäftsführerin Hannelore Richter und ihres Ehemannes Jürgen Richter die Rede, von Luxuskarossen, undurchschaubaren Verflechtungen zwischen der Wiesbadener und der Frankfurter AWO, ungerechtfertigten Minijobs und Ehrenamtspauschalen, gut dotierten Scheinarbeitsverhältnissen und dem Verdacht der Beihilfe zur Untreue auch beim Wiesbadener Sozialdezernenten Christoph Manjura (SPD). »Es war ein Augiasstall, den die neuen Vorsitzenden Wolfgang Hessenauer und Franz Betz auszumisten hatten«, schreibt Manfred Gerber in seinem Buch. Sie schafften es mithilfe einer erfahrenen Beraterin und der Insolvenz in Eigenregie.

Neben dem historischen Teil gibt Gerbers Buch auch einen Einblick in das aktuelle Wirken der Arbeiterwohlfahrt Wiesbaden mit 600 Mitgliedern und 460 Beschäftigten in Kitas, Krippen, Altenheimen, der Familienberatung und dem Frauenhaus.

Groß gefeiert werden soll das Jubiläum nicht zum Jahrestag im Januar, sondern erst am 26. Mai. Dann wird auch das Buch von Manfred Gerber noch mal vorgestellt. Zu haben ist es aber bereits jetzt bei der Arbeiterwohlfahrt sowie beim Verlag Hutten und Morgenroth. Es kostet 20 Euro. red



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