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Ich hing meinen Gedanken nach und Mom machte es genauso. Dann hörte der Wald auf, und der Bach verlor sich zwischen den ersten Anwesen, die sich bald zu einer kleinen Ortschaft summierten. Mom meinte, es müsse ein Schloss mit guter Gastronomie geben, und es dauerte nicht mehr lange, bis wir mitten im Ort davorstanden. Es machte richtig was her.
»Okay, Schatz«, sagte Mom wenig später nach einem kurzen Blick auf die Speisekarte, »du hast es dir heute verdient, dass wir etwas besser essen gehen. Du warst wirklich geduldig und ich bin jetzt auch hungrig. Wenn ich nicht gleich was zu essen bekomme, vergesse ich mich. Lass uns reingehen und zuschlagen.« Manchmal war sie ein wenig rustikal.
Wir ließen es uns richtig gut gehen. Ich verzichtete auf den halben Hirsch und bestellte stattdessen eine fränkische Leberknödelsuppe, ein Forellenmousse und eine Perlhuhnbrust mit Grillgemüse und Spezi. Das Wiener Schnitzel mit Pommes hätte mich zwar auch gereizt, aber das bekam ich ja überall. Ich hatte Lust schlossmäßig zu tafeln. Mom entschied sich für einen Blattsalat, den sie eigentlich immer nimmt, in diesem Fall allerdings mit Balkankäse, was in meinen Ohren nicht so arg regional klang, aber das war ja auch keine Bedingung. Dazu bestellte sie einen Kartoffelstrudel und Weißwein. Zum Schluss nahmen wir die Dessertvariation des Hauses für uns beide. Es war genial. Aber kein Grund nicht darauf zurückzukommen, was wir als Gesprächsthema für dieses Wochenende schon am Montag ins Auge gefasst hatten. Im Gegenteil. Mom knabberte gerade zufrieden an ihrem Grünzeug, als ich glaubte einen günstigen Moment für den Einstieg erwischen zu können.
»Mom?«
Sie hatte den Mund etwas zu voll und nickte nur zu einem gurgelnden Laut.
»Kannst du dich erinnern, worüber wir am Montag gesprochen haben?«
Sie nickte wieder.
»Ich meine den Teil, dass es vielleicht nicht nur ungewöhnlich ist, schwul zu sein. Dass es andere Gründe gibt, warum die Menschen etwas gegen Schwule haben. Kannst du dich daran noch erinnern?«
Erneutes Nicken.
»Du hast mir ein paar andere Gründe genannt, warst dann aber zu müde, näher darauf einzugehen.« Ich wartete, ob sie wieder nicken würde, aber sie schob sich nur eine nächste Gabel mit Blattsalat und Balkankäse in den Mund.
»Einer davon war Homophobie. Kannst du mir erklären, was das ist? Ich kenne den Begriff zwar, und würde ihn auch benutzen, aber sicher bin ich mir nicht, ob ich ihn richtig verwenden würde.«
»Hmh, ich kanns versuchen.« Sie tupfte sich mit der Serviette an den Mundwinkeln herum. »So wie ich es halt verstehe. Eine Expertin bin ich nicht.« Sie nahm einen Schluck Wein.
»Mir reicht völlig, wie du es verstehst.«
»Also gut.« Sie überlegte eine Weile und hob mehrfach an, um dann wieder abzubrechen und noch einmal neu zu überlegen. Erfreulicherweise fand sie dann doch noch Worte.
»Vielleicht so«, begann sie zögerlich. »Zerlegt man den Begriff in seine Bestandteile, nämlich Homo und Phobie, dann kommt so etwas wie Angst vor dem Gleichen dabei heraus. Gemeint ist damit immer die Liebe und Sexualität zwischen zwei Menschen gleichen Geschlechts.«
»Versteh ich nicht, wer sollte davor Angst haben?«
»Das leuchtet mir auch nicht ein, aber einige Menschen haben wohl diese Angst. Vielleicht ist Phobie nicht die beste Begrifflichkeit.«
»Sondern?« Die Bedienung brachte den Auflauf und das Perlhuhn. (Fortsetzung folgt)