23
»Du wolltest mit mir reden?«
»Ist das so erstaunlich? Du bist mein neuer Sitznachbar und tust so, als wäre ich Luft. Gut, ich bin hängen geblieben. Aber deswegen musst du mich ja nicht ignorieren.«
»Ich ignoriere dich?«
»Wie würdest du es denn nennen?«
»Keine Ahnung
aber mit Sicherheit ganz anders. Das tut mir leid, und das ist ehrlich gemeint. Ich ignoriere dich nicht, überhaupt nicht.«
»Wie würdest du es also dann nennen?«
»Das willst du nicht
«
»Herrje, natürlich will ich das hören.«
Draußen kamen Stimmen näher, ich hatte ganz vergessen, dass die Pause vorübergehen würde. Manchmal ist es ja nicht schlecht, wenn man etwas unter Druck gerät.
»Ich würde dich gerne kennenlernen«, sagte ich zu Max und lief rot an. Und da war es wieder, sein Grinsen.
»Wow, das kauf ich dir jetzt sogar ab. Schön, das zu hören.« Und dann hielt er mir seine Hand hin.
»Ja, das kannst du mir auch abkaufen.« Und ich hielt ihm auch die Hand hin. Unsere Umkleidekabine versprüht nicht gerade die Aura einer Hollywood-Kulisse, aber seine Hand fühlte sich nach einer Abmachung an. Viel größer als Hollywood. Und viel realer als eine Traumfabrik sie erdenken kann.
Ich stellte mir vor, dass Max neben mir sitzen würde. Wir zwei würden einfach nebeneinander auf den Fluss blicken. Er würde dasselbe sehen wie ich und dabei sicher etwas ganz anderes empfinden. Ich hätte dabei so ein Gefühl tief in der Magengrube. Das war das Gefühl, da war ich mir plötzlich sicher, das die Erwachsenen wirklich mit Sehnsucht meinten. Früher dachte ich, das sei das Warten auf Weihnachten oder den Geburtstag oder die Sommerferien. Aber nun merkte ich, dass es nur zu einem Teil mit dem Warten zu tun hatte. Der andere Teil wollte etwas gleich jetzt hier und immer. Und spürte, dass es fehlte, sobald es nicht da war. Weshalb die Zeit sich irgendwie auflöste, weil sie jede Relation verlor. Die nächste Sekunde war eine Ewigkeit, ein Wochenende bis zum nächsten Schultag ein fetter Klumpen fester Materie in der Magengegend.
Das Wasser war beinahe glatt, die Luft stand.
Am Donnerstag unterhielt ich mich mit Max, bevor die erste Stunde begann. Wir hatten uns verabredet, nachdem er mir erklärt hatte, dass der Bus, mit dem er kommt, immer schon eine Viertelstunde vor Schulbeginn da ist. Mom hatte nichts gesagt, wobei sie sich sicher ihren Teil dachte. So früh hatte sie mich schließlich noch nie zur Schule gehen sehen. Aber es ist gar nicht schwer, wenn man sowieso nicht schläft und einen richtig guten Grund hat, in die Schule gehen zu wollen.
Ich hatte die rote aussieBum angezogen, was reichlich überflüssig war, denn wir hatten keinen Sportunterricht. Max würde sie nicht zu Gesicht bekommen, aber das war mir egal. Ich stand nämlich trotzdem mutiger vor ihm, irgendwie. Dazu meine Lieblings-Jeans, mein Lieblings-Shirt und meine Lieblings-Sneakers von Converse. Ich war so früh dran, dass ich noch vor ihm auf dem Schulhof eintraf und wartete. Um nicht tatenlos rumzustehen, stellte ich mich vor das Schwarze Brett und tat so, als würden mich die verschiedenen Zettel interessieren. Zumindest so lange, bis sich Bella neben mich stellte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und richtig einverstanden war ich damit auch nicht.
»Das glaub ich jetzt nicht, Marius. Was machst du denn schon hier?«
»Wieso, was soll ich hier schon machen? Wahrscheinlich das gleiche wie du. In die Schule gehen zum Beispiel.«
(Fortsetzung folgt)