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Und in der Umkleide hätte ich dagestanden wie der Oberdepp, der ich nicht sein wollte. Nichts wollte ich sein. Viel lieber nichts. Mich auflösen in großstädtischer Luft. Verschwinden, ganz einfach. Oder wenigstens krank, aber da rief Mom schon wieder.
»Ich komm ja schon.«
Doppelstunde Sport in der fünften und sechsten. Ich muss nicht erwähnen, wie ich die ersten vier Stunden verbracht habe. Wieder beschissen. Again and again and again and again ... The Cure: A forest. Aber selbst beschissen war untertrieben. Ich kanns nur nicht besser beschreiben. Anwesend muss ich auf jeden Fall gewesen sein. Mehr aber auch nicht. Mit Max hab ich nicht gesprochen. Sonst auch mit niemandem. In der ersten Pause bin ich sofort aufs Klo gelaufen und habe mich eingeschlossen. Hab mir die Hose runtergezogen und versucht, mich zu überzeugen, dass ich in der schwarzen aussieBum gut aussah. Ich hatte sie noch nicht oft angehabt, und ganz sicher nicht im Sportunterricht. Sie gefiel mir, aber sie sah auch ein wenig unpassend aus. Mit einer aussieBum gab man zu, dass man irgendwie sexy sein wollte. Und das mussten die anderen nicht gerade cool finden, da war ich mir sicher. Dann klingelte es zur dritten Stunde. Mein Zustand hatte sich nicht gebessert. Auch nicht in der nächsten großen Pause, die ich nutzte, um möglichst als Erster in die Umkleide zu kommen. Die anderen tauchten immer erst auf, wenn die Pause schon rum war.
Als ich in die Kabine kam, war tatsächlich noch niemand da. Ich suchte mir die hinterste Ecke aus, setzte mich auf die Bank und hatte vielleicht drei Sekunden Zeit, um zu verschnaufen, als die Tür schon wieder aufging und Max hereinkam. Und nicht nur das, er kam auch noch in meine Ecke und setzte sich direkt mir gegenüber. Ich glotzte ihn einfach nur total dämlich an.
»Ist mit dir alles in Ordnung, Marius?«
Wow, das war mal ein Kabinen-Auftakt, wie ich ihn mir auch in zehn weiteren glockenhellwachen Nächten nicht hätte ausmalen können. Alleine mit Max, kurz vor dem Aufknöpfen der Hose, und dann will er von mir wissen, ob mit mir alles in Ordnung ist. Nicht dass ich darauf mit einem plötzlichen Anflug galaktischer Leichtigkeit reagiert hätte, aber die Situation änderte sich trotzdem schlagartig. Er fragte ohne Angriffslust, womöglich gab es wirkliches Interesse von seiner Seite aus. Also nicht im anzüglichen Sinne, sondern einfach so, Interesse halt. Er hätte sich ganz weit weg von mir setzen können, mucksmäuschenstill, so verklemmt wie ich. Aber genau das hatte er nicht getan, und das machte mich fast schon ein bisschen mutig.
»Welche Antwort willst du hören? Die Ich-bin-der-coolste-Junge-der-Schule-Antwort? Die Was-geht-dich-das-an-Antwort? Die Ich-antworte-mit-einer-Gegenfrage-Antwort? Oder die Oh-Gott-was-soll-ich-nur-sagen-Antwort?«
»Keine Ahnung. Die klingen alle nicht so berauschend. Wie wärs mit der einfachsten Variante, die Frage ist ja nicht so kompliziert? Eine ehrliche Antwort halt.«
»Die willst du nicht hören.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich will nicht, dass du sie hörst.«
»Ist richtig nett, sich mit dir zu unterhalten.«
»Wieso bist du eigentlich so früh in der Umkleidekabine?«
»Ist das jetzt die Ich-antworte-mit-einer-Gegenfrage-Antwort?«
»Fällt mir gerade leichter.«
»Okay, ist auch kein Problem. Ich habe gesehen, dass du gleich nach dem Klingeln hierher gegangen bist. Und da dachte ich, ich könnte mal ein paar Sätze mit dir reden. In der Klasse bist du ja nicht sehr redselig.«
(Fortsetzung folgt)