12. März 2023, 16:26 Uhr

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12. März 2023, 16:26 Uhr

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Ich zog irgendwas an und bewegte mich in Richtung unserer Küche. Auf dem Weg kam ich an der Pinnwand mit dem neuen Stundenplan vorbei. Den kannte ich in der ersten Schulwoche natürlich noch nicht auswendig. Mit einem Auge blickte ich über den Mittwochs-Fahrplan, um wie in einer schlechten Komödie von einer auf die andere Sekunde hellwach zu sein. Da stand Sport. Böse und übermächtig wie Sport nun mal sein kann. Aber bis hierhin hatte ich es überlebt, richtig schlimm war nur das Turnen. Immerhin so schlimm, dass ich wahre Ängste ausstand, wenn die Geräte rausgeholt wurden. Mit Mühe und Not hatte ich irgendwann die Rolle auf der Matte hinbekommen. Was darüber hinausging, war blanker Horror.

Nun aber bedeutete Sport: Sport mit Max. Und Sport mit Max bedeutete Umkleidekabine mit Max. Und Umkleidekabine mit Max bedeutete Ausziehen vor und mit Max. Ich überlegte, ob ich krank war. Meine Zombie-Verfassung konnte Mom vielleicht überzeugen. Aber ich hatte sie noch nie überzeugen können, wenn ich nicht wirklich krank war und nur nicht zur Schule wollte. Ich konnte nicht lügen, und sie war nicht blöd. Ich wusste, dass ich keine Chance haben würde. Die Zeit wurde knapper. Ein paar Löffel Müsli noch, mehr war nicht drin. Trotzdem ging ich zum Kleiderschrank zurück. Plötzlich war es mir wichtig, welche Unterhose ich anhaben würde. Mom kaufte immer ziemlich billige Dinger im 10er-Pack, obwohl wir daran sicher nicht sparen mussten. Davon besaß ich bestimmt zwanzig Stück in ähnlich vielen blassen Farben und beknackten Mustern, die Hälfte davon am Bund und an anderen Stellen mehr oder weniger zerrupft und löchrig. Das Thema hatte mich lange Zeit auch nicht großartig interessiert. Aber dann, es war zu dieser Zeit höchstens drei Monate her, war ich mit Mom und meinem Vater an einem Samstag in der Stadt unterwegs, und wir kamen in einer Seitenstraße der Zeil an einem Laden nur mit Männerklamotten vorbei. Zwei der Puppen im Schaufenster hatten diese tollen Unterhosen an. Auch die waren farbig, aber die Farben unterschieden sich von denen der 10er-Pack-Modelle so deutlich wie ein farbenfroher Papagei von einer grauen Stadttaube. Die Nähte waren breit abgesetzt, und oben stand fett aussieBum drauf. Die also sah ich im Schaufenster, und zum ersten Mal wurde mir klar, dass mir Unterhosen richtig gut gefallen konnten, und das verkündete ich sofort meinen Eltern. Mein Vater lachte nur und verwies mich darauf, dass er in seinem ganzen Leben noch keine Unterhose für 40 Euro das Stück besessen habe. Während Mom meinte, dass sich darüber sicher reden ließe, aber eben nicht mit meinem Vater. Ein paar Tage später hatte ich drei aussieBums in meinem Schrank liegen. In Blau, in Rot und in Schwarz. Eine schöner als die andere, und einfach so. Mom hätte mir noch bis zu meinem Auszug die 10er-Packs gekauft, solange sie davon ausgegangen wäre, dass es mir egal ist. Aber geizig ist sie nicht mit dem Geld meines Vaters, wenn es um einen echten Wunsch geht.

Ich schlüpfte aus meiner Jeans, zog das blasslila Billigding, das ich ansonsten angehabt hätte, wieder aus, und war im Begriff, es zurück zu den anderen Unterhosen zu legen, als Mom in mein Zimmer kam, sicher um zu sehen, ob das nochmal was wird mit mir an diesem Tag. Ich hörte, wie sie die leicht geöffnete Tür aufdrückte, sprang zur Seite und hörte dann nur, wie sie ›beeil dich jetzt bitte‹ sagte und wieder verschwand. Ich nahm die schwarze aussieBum und überlegte, ob ich die Sporthose gleich noch drüberziehen sollte. Was aber bedeutet hätte, dass unter der Jeans eine merkwürdige Wulst gewesen wäre. (Fortsetzung folgt)



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