20. Mai 2022, 18:43 Uhr

Durst, Schweiß und Tränen

20. Mai 2022, 18:43 Uhr
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Aus der Redaktion
Gänsehautstimmung bereits vor dem Anpfiff: Die Eintracht-Fans präsentieren ihre Choreographie fürs große Endspiel. Danach aber werden alle durstig. Foto: dpa

Sevilla. So ein Europapokal-Endspiel ist nichts für Weicheier. Braucht man nur mal Sebastian Rode fragen, der ein gut sichtbares Mitbringsel auf der Stirn von dem Trip nach Sevilla mit in die hessische Heimat genommen hat. Diese Narbe nimmt ihm keiner mehr. Aber auch wer nicht wie der schmerzresistente Mittelfeld-Stratege Kopf und Trikot-Kragen auf dem Endspielrasen riskierte, hatte eine gewisse Leidensfähigkeit mitzubringen, um an der Stätte des Triumphs dabeisein zu können. Hier das Zeugnis eines - von all den Eindrücken noch immer leicht benommenen - Eintracht-Anhängers.

Das finale Drama begann schon mit der Wochen vor Anpfiff einsetzenden Hatz auf die Eintrittskarten, die alle Formen und Preise des Bekannten sprengte. Der Autor dieser Zeilen erhielt ein paar Tage vor dem Anpfiff seine frohe Ticket-Botschaft. Die Flugzeiten des über die Eintracht organisierten Tagesfliegers standen hingegen erst 24 Stunden vor Abflug fest. So lässt sich die Stabilität des Nervenkostüms testen. Dann die Mitteilung: es wurde einer der ersten der über 30 Flieger mit Ziel Sevilla, der an diesem Mittwochmorgen von FRA abhob - um 4.50 Uhr. Aber was soll’s?! An Schlaf war in dieser Nacht der Vorfreude sowieso nicht mehr zu denken.

In Sevilla angekommen, wehte drei Stunden später ein angenehm laues Lüftchen. So ließ es sich aushalten - doch nicht sehr lange. Denn bald schaltete die Sonne um auf ein unbarmherziges Angriffspressing. Entziehen ließ sich dem nur mit einer Mischung aus Schatten, Bewegungsreduktion und Kaltschalengetränken. Aber auch das nur in strategisch kalkulierten Dosen, Bechern und Flaschen. Schließlich galt es, den Anpfiff im Stadion körperlich unversehrt mitzuerleben. So verbrachten Autor und Anhang den Nachmittag vor allem damit, den unzähligen sympathischen Schotten auf Sevillas Gassen und Plätzen die Hände zu reichen, gute Wünsche zu formulieren und so zu tun, als würde man die ebenso freundlich vorgebrachten Entgegnungen verstehen. Schottisch ist nunmal kein Englisch.

Diese Typen in ihren blauen Trikots aber haben sich an diesem Tag jeden Schulterklopfer verdient. Die von beiden sich mischenden Fanlagern verbreitete Stimmung in der Stadt war großartig, nein, überragend und eines wahren europäischen Endspiels würdig. Nicht auszudenken, ein deutscher Dosenclub hätte sich in dieses Finale gemogelt. Es hätte sich einfach nicht richtig angefühlt. So aber wuchs die gemeinsame Vorfreunde minütlich, bis sich die Polizei entschloss, dem entspannten Treiben ein vorläufiges Ende zu bereiten. Berittene und arg breitbeinige Uniformierte sperrten die Zugangsstraße und ließen den Frankfurter Tross viel zu lange in der prallen Sonne ausharren. Kann man machen, wenn man die Menge entzerren will. Kann man aber auch lassen, wenn bei 35 Grad die Schädel in der prallen Hitze kochen.

Aber egal. Das Stadion kam endlich irgendwann in Sichtweite und bot das Versprechen, sich innerhalb des Areals endlich wieder mit (alkoholfreien) Getränken zu versorgen. Da war die Überraschung an den viel zu wenigen geöffneten Kiosken groß, als es noch vor Anpfiff (!) hieß: ausverkauft. Keine Cola, kein alkoholfreies Bier, vor allem: kein Wasser, nirgends. Blieb also nichts anderes übrig, als sich an den Wasserhähnen in den Klos zu bedienen - bis auch die in der Halbzeit abgestellt wurden. Angeblich wegen eines Rohrbruchs. Wer sich darob beschwerte, bekam es mit der Ordnungsmacht zu tun, die sich unangenehm wichtig tat, anstatt sich wenigstens um Nachschub zu bemühen. Andalusische Kreisklasse.

Das Spiel hingegen: mitreißend, nervenzerfetzend, ein Spektakel, das alle Sinne absorbierte. So war in der Kurve erst nach dem Schlusspfiff, den enthusiastischen Ehrenrunden der Mannschaft und den aus den Augenwinkeln gewischten Glückstränen zu bemerken, wie sehr dieses Finale jeden einzelnen Fan gefordert hat. Aus den Körpern und Kurven entwich die Luft wie aus einem Soufflé. Erst völlige Ekstase, dann völlige Erschöpfung.

Eine Flasche Wasser würde jetzt guttun. Doch draußen wartete kein Kiosk, kein mobiler Stand, keine Bar auf die Fans, um das Geschäft des Nacht-Lebens zu machen. Es wartete nur die stockfinstere sevillanische Nacht.

Also ging es zurück zum Flughafen, um die Restnacht in der Abflughalle zu verbringen, auf dem Handy Schlagzeilen zu sortieren, Glückwünsche aus der Heimat entgegenzunehmen und Zeugnisse des Triumphs zu versenden. Außerdem gab es dort schließlich kalte Getränke.

Um halb Zehn am Morgen fiel der Autor dieser Zeilen schließlich entkräftet ins Bett. Der letzte Gedanke war die Erinnerung an einen Satz eines Begleiters, der diesen Finaltrip so zusammenfasste. »Kann man machen. So alle 42 Jahre.«

Andererseits: Nächste Saison gibts Champions League.



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