Die letzten beiden Jahre bringen für Kai Schäfer immer wieder Premieren. Da ist die Corona-Krise, das anfängliche Trainingsverbot, die große Zahl an abgesagten Wettkämpfen - und nun die Olympischen Spiele in Tokio, wenn auch mit einem Jahr Verspätung. Die Nummer eins des SV Fun-Ball Dortelweil geht beim olympischen Turnier ab kommenden Donnerstag (29. Juli) im Herren-Einzel an den Start - und hat sich viel vorgenommen.
Nach rund sechs Wochen ohne Wettkampf, aber mit einem Abstecher vom Olympia-Stützpunkt in Mülheim an der Ruhr zu einem sechstägigen Trainingsaufenthalt in Dänemark hat sich Schäfer am vergangenen Freitag auf den Weg ins Land der aufgehenden Sonne gemacht - zwei PCR-Corona-Tests aus Deutschland von vier bzw. drei Tagen vorher inklusive. Am Flughafen der japanischen Hauptstadt erwartete ihn ein weiterer Corona-Schnelltest - so wie ab da jeden Tag im olympischen Dorf. Das dürfen die Athleten übrigens nur für Training und Wettkampf verlassen. Seit Montag dürfen das deutsche Team und er immerhin täglich in den Musashino Forest Sport Plaza in einem westlichen Vorort von Tokio, wo Badminton-Spieler, Fechter und die Modernen Fünfkämpfer beheimatet sind. Es gelten jedoch Abstandsgebot, Maskenpflicht, Fiebermessen und andere Benimmregeln sowie das Verbot, anderen Wettkämpfen außer denen der eigenen Sportart beizuwohnen. »Wenn man es positiv wenden will: Man kann sich gut auf das Sportliche konzentrieren«, sagt Schäfer nicht ohne Galgenhumor.
Klar ist: Auch er hätte sich seine Olympia-Premiere anders vorgestellt. »Diese Erfahrung wird sicher mega cool werden, aber unter anderen Rahmenbedingungen wäre sie sicher noch cooler gewesen«, sagt er auch mit Blick darauf, dass die normalerweise bis zu 10 000 Menschen fassende Halle leer bleiben wird. »Ich kann nicht beurteilen, ob das für mein Spiel gut oder schlecht ist, aber es ist für alle Athleten schade, denn als Sportler wollen wir natürlich vor Zuschauern spielen - und wenn es in dieser großen Halle in einem Land, in dem Badminton außerdem noch eine Top-Sportart ist und der Gastgeber Chancen auf Gold hat, nur ein paar Hundert gewesen wären«, sagt Schäfer. »Nun lebt das Event von seiner Wichtigkeit und seiner Ausstrahlung.«
Ungewohnter Rummel vor Abflug
Die ist allerdings gewaltig - das hat auch der gebürtige Darmstädter in den vergangenen Tagen und Wochen gemerkt. Nach seiner offiziellen Nominierung habe der Rummel spürbar zugenommen - seitens der Medien aber auch von Vereinen, Kommunen und anderen Institutionen, die »ihren« Olympioniken gerne verabschieden wollten. Gepaart mit einem erhöhten Trainingsaufwand und dem aufgrund von Corona zusätzlichen organisatorischen Aufwand in den vergangenen Wochen »hat es sich schon geläppert«, gibt Schäfer zu: »Ich weiß nicht, wie das für die Sportler ist, die Chancen auf eine Medaille haben, denn schließlich bin ich ja kein in Deutschland allgemein bekannter Athlet. Aber natürlich macht man es gerne, es ist ja schließlich eine besondere Zeit. Ich habe das Gefühl, Olympia interessiert die Menschen einfach mega.«
Auch der Fun-Ball-Vorsitzende Stefan Kött und sein Stellvertreter Klaus Rotter hätten sich bei ihm gemeldet. »In Dortelweil freuen sich alle sehr, denn auch für den Klub ist es ein Zeichen, wenn er einen Olympia-Teilnehmer stellt«, sagt Schäfer, der im Gespräch mit ARD-/ZDF-Kommentator Martin Wolff bei dessen Trainingsbesuch gleich mal versucht hat, »möglichst viele, coole Infos über Dortelweil unterzubringen«, wie er mit einem Lachen erzählt. Vielleicht fänden sie ja Eingang in die TV-Berichterstattung.
Andere Aktivitäten verringert
Um das alles unter einen Hut zu bringen, musste Schäfer bei seinen sonstigen Aktivitäten aber etwas langsamer machen. Denn er ist neben seinem sportlichen Erfolg auch Athletensprecher des Dachverbandes Badminton Europe, betreibt mit dem Bundesliga-Spieler Tobias Wadenka den »Shuttletalk - Der Badminton Podcast« und hat mit seiner Freundin, der Badminton-Spielerin Miranda Wilson, mit »BadmintONEarth« ein Nachhaltigkeitsprojekt gegründet, mit dem die deutsche Badminton-Nationalmannschaft ihre Reisen in Sachen CO2 kompensiert - auch für Tokio. Von dem gespendeten Geld werden Fruchtbäume und »Solar-Bildungsrucksäcke« in der Demokratischen Republik Kongo finanziert.
Werbung für all diese Dinge ist übrigens auf dem olympischen Parkett verboten. »Es wäre cool, mit dem Logo unseres Projektes auf dem Trikot aufzulaufen, zumal wir immer versucht haben, gerade dieses Thema voranzubringen. Im Sport gibt es in Sachen Nachhaltigkeit noch genug zu tun, denn er hat immer noch eine Sonderrolle, weil es immer noch um höher, schneller und weiter geht«, sagt Schäfer - und schiebt dann vielsagend nach: »Aber ich habe es ja selbst in der Hand.«
Und damit meint er vor allem sein sportliches Abschneiden, »denn, wenn ich weiterkomme, habe ich ja vielleicht die Gelegenheit bei einem Interview über die Themen, die mir wichtig sind, zu sprechen«. Die Chancen könnten jedenfalls schlechter stehen, denn die Auslosung ergab, dass Schäfer in Gruppe K auf den Briten Toby Penty (Weltranglistenplatz 56) und den Thai Kantaphon Wangcharoen (18) trifft. Gegen beide habe er schon gespielt und sieht sich - trotz der nominell schlechtesten Weltranglistenplatzierung (74) in der Gruppe - auf Augenhöhe. »Es gibt bei Olympia keine leichte Gruppe im Herreneinzel, aber ich finde meine Gruppe cool«, sagt er. »Der Plan ist also, beide Spiele zu gewinnen.« Das wird auch (fast) nötig sein, denn nur der Gruppenerste schafft es in die olympische K.o.-Runde.
Doch auch für die Zeit danach hat Schäfer schon einen Plan: Urlaub in seiner südhessischen Heimat. »Meine Eltern wären normalerweise sicher mit nach Tokio geflogen, aber so werde ich nach den Spielen Zeit mit der Familie verbringen - das steht fest.«