03. Oktober 2019, 12:00 Uhr

NDP-Funktionär als Ortsvorsteher

Nach der Wahl im Ortsbeirat soll nun die Abwahl folgen

Die Altenstädter Waldsiedlung in der Weltpresse: Wer hätte das gedacht? Nachdem ein Rechtsextremer zum Ortsvorsteher gewählt wurde, gab es einen Aufschrei und einen Presseauflauf.
03. Oktober 2019, 12:00 Uhr
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Von Jürgen Wagner
Die Wahl eines Ortsvorstehers von der NPD hat hohe Wellen geschlagen. Am 22. Oktober soll Stefan Jagsch im Gemeinschaftshaus der Waldsiedlung wieder abgewählt werden. Er hat angekündigt, gegen eine Abwahl zu klagen. (Foto: Nici Merz)

Einen Schönheitspreis gewinnt die Waldsiedlung nicht. An langen Straßen reihen sich Ein- und Zweifamilienhäuser aneinander, die an Lagerhallen angrenzen. Gewerbe und Wohnen gehen ineinander über. 1936 wurde ein Teil des Waldes für einen Fliegerhorst gerodet. Damit fing es an. Heute leben 2500 Einwohner im zweitgrößten Ortsteil von Altenstadt, wo die deutsche Flagge neben der türkischen weht und ein dunkelhäutiger Schuljunge einen viel zu großen Ranzen schleppt. Auf den ersten Blick ein ganz normaler Ortsteil. Bei der Kommunalwahl 2016 haben hier 14 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei der rechtsextremen NPD gemacht.

»Ich habe den Reportern tausendmal gesagt: Altenstadt unterscheidet sich nicht von anderen Kommunen«, sagt Bürgermeister Norbert Syguda. 10 Prozent NPD-Wähler in der Gemeinde seien zu viele. »Aber die wollten keine Nazi-Partei wählen, sondern ihren Protest ausdrücken.« Wie in Büdingen, wo die NPD 10,2 Prozent holte. Syguda kann das erklären: »In Altenstadt und Büdingen ist die AfD nicht angetreten.«

Im Kreistag errang die NPD zwei Sitze. Jagsch und der Landesvorsitzende Daniel Lachmann fallen nur dann auf, wenn sie wegen ihrer Wortwahl gerügt werden. Ihre Anträge werden stets mit Mehrheit (bei gelegentlicher Zustimmung von AfD-Mitgliedern) abgelehnt. Es geht der NPD wohl eher um Provokationen, nicht um Diskussionen.

So sei es auch im Gemeindeparlament, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzender Karl Ventulett. Jagsch sei »butterweich«: »Er sitzt da und guckt lieb.« Eine Auseinandersetzung mit der NPD finde nicht statt.

Den Gesprächstermin sagt Stefan Jagsch gerne zu. Die Parteipolitik aber will er außen vor lassen. »Das klappt bisher sehr gut.« Dabei geht es doch um seine Zugehörigkeit zur NPD. Eine Partei, die laut Verfassungsschutz die Demokratie bekämpft, die rassistische, ausländerfeindliche und antisemitische Hetze betreibt. Jagsch wischt das weg. Er wolle den Staat nicht abschaffen, lehne Gewalt ab. Jagsch erzählt von Morddrohungen und Sachbeschädigungen an seinem Haus.

Für Andreas Balser von der Antifa-BI ist Jagsch »ein ganz normaler Neonazi-Führer«. »Er ist Anmelder rechtsextremer Demonstrationen, tritt überregional als Redner und Parolen-Vorsänger auf, ist Gast auf Rechtsrock-Konzerten.« Jagsch sei »ein Beispiel dafür, wie leicht es ist, in einer rechtsextremen Partei bekannt zu werden. Das ist nicht unbedingt mit besonderen Fähigkeiten, sondern eher mit einer Überschaubarkeit des verfügbaren Personals erklärbar.«

Was tun? Diese Frage stelle sich nicht nur in Altenstadt, sondern weltweit, sagt Syguda und holt weit aus. Er spricht über Populisten und Verführer, die es in vielen Ländern gebe, über integrationswillige und auch -unwillige Flüchtlinge (»Das muss man aussprechen dürfen«), über Bildung und Wohlstand als Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie und landet beim Respekt: »Wenn alle Respekt voreinander hätten, gäbe es die Populisten und Scharfmacher nicht.«

Die NPD verfolge »die Strategie der regionalen Verankerung«, sagt Balser. In Büdingen und Altenstadt sei sie damit erfolgreich gewesen: »Ein unbedarft wirkendes Auftreten und halbwegs passende Anzüge scheinen einigen schon zu reichen, um zu vergessen, für was die NPD steht.« Ihre Mitglieder seien nicht »die freundlichen Jungs vom Dorf«, sondern immer auch geistige Brandstifter.

Als die NPD 2012 ihren Landesparteitag in der Waldsiedlung abhielt, organisierten die Grünen eine Kundgebung. Außer der SPD hätten alle Parteien abgewunken, erzählt Ventulett. Begründung: Damit werte man die NPD nur auf. Die NPD werde totgeschwiegen, sagt Ventulett. »So entsteht Normalität.«

Was sich nach der Wahl Jagschs zum Ortsvorsteher am 5. September abgespielt habe, sei nicht mehr normal gewesen, sagt Syguda. »Ich kam vom Seniorenausflug, als ich von der Wahl erfuhr. Ich dachte sofort: Uiuiui, das wird was geben. Aber so einen Hype hatte ich nicht erwartet.« Mehrere Tage lang habe er nur Interviews gegeben. »Wir konnten im Rathaus nichts anderes mehr tun.« Syguda ist ein Arbeitstier. »Ich wollte alle Mails beantworten. Mittags waren es 1500, am Abend schon 2500. Da hab ich’s aufgegeben. Und an den nächsten Tagen ging’s weiter.«

Auch Jagsch hält den »Presse-Hype« um seine Person für »völlig übertrieben«. US-Zeitungen machten ihn zum »Bürgermeister«, da der Ortsvorsteher dort unbekannt ist. Im Halbstundentakt gab er RTL, Bild oder dem Spiegel Interviews. »Dabei hat der Ortsvorsteher doch kaum Einfluss.«

Das hatte der vormalige Ortsvorsteher Klaus Dietrich (FDP) kritisiert: Der Ortsbeirat werde alleine gelassen. »Schwachsinn«, sagt Syguda. Vor anderthalb Jahren habe er einen Runden Tisch der Ortsvorsteher eingerichtet. Jeder Antrag der Ortsbeiräte werde im Gemeindevorstand ausführlich diskutiert.

Die Ortsbeiratssitzung am 22. Oktober hat Jagsch akribisch vorbereitet. Vor seiner Abwahl werden drei Punkte diskutiert: eine Bürgersprechstunde des Ortsvorstehers, eine Müllsammelaktion und ein Dorffest. »Das ist meine Idee.« Gegen die Abwahl will er juristisch vorgehen. »Ich sehe dafür keinen triftigen Grund.« Die anderen Parteien hätten Druck auf ihre Mitglieder ausgeübt. Jagsch zieht Vergleiche mit totalitären Staaten.

Auch Syguda hat die Sitzung akribisch vorbereitet. Wegen des erwarteten Andrangs wurde die Altenstadthalle als Tagungsort in Erwägung gezogen. Jagsch bestand auf dem Gemeindehaus in der Waldsiedlung. Die NPD wolle auf eine Demo verzichten. Syguda hofft, dass die Antifa dies genauso handhabt. Im Saal wird es Security geben, vor dem Saal Polizei. »Ich sehe Konfliktpotenzial, wenn wir nur 200 Leute in die Halle reinlassen und Bürger abweisen müssen.«

»Ich leide unter der Situation. Es macht mich fertig«, sagt Ventulett über die Präsenz der NPD in der Gemeinde. »Wie weit haben diese Personen schon Vereine unterwandert?« Ob er Angst habe? »Noch nicht.« In Büdingen trete die NPD anders auf, nur gebe es dort eine größere Gegenwehr. Auch in Altenstadt sei nun die Zivilgesellschaft gefragt. »Ich hoffe, dass dies ein Weckruf war und alle künftig aufmerksamer sind.«

»Ich bin demokratisch gewählt worden. Ich bin nicht der Verlierer in dieser Sache«, sagt Jagsch. »Es gibt keine netten Nazis von nebenan«, sagt Balser. »Es gibt deren taktisches Auftreten. Ihre mörderische Ideologie zeigt aber, wohin es gehen soll.«



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