20. Oktober 2021, 22:03 Uhr

Zu viel Kaufkraft fließt ab

Die Ausgaben der Mücker Bürger sind deutlich höher als der Umsatz des lokalen Einzelhandels. Sprich: Es fließt Kaufkraft ab. Doch in welchen Bereichen sind die Zahlen besonders ausbaufähig? Und was gilt es bei der Beantwortung von Ansiedlungsanfragen zu beachten? Darauf soll das Einzelhandelskonzept Antworten liefern.
20. Oktober 2021, 22:03 Uhr
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Von Kerstin Schneider
In Merlau und Flensungen konzentrieren sich in direkter Nähe unter anderem gut besuchte Märkte wie Rewe und Edeka, der Discounter Penny und Getränkemärkte der großen Lebensmittelketten. FOTO: KS

An Anfragen von Investoren mangelt es in Mücke laut Andreas Sommer nicht. »Insbesonde die Autobahnauf- und Abfahrten sind interessant«, berichtete der Bürgermeister jüngst anlässlich der Sitzung des Mücker Ortsbeirates. Bei den Anfragen von Discounter- oder Möbelhausketten gehe es dann gerne auch mal um Grundstücke ab zehn Hektar aufwärts. Doch ist das wirklich zum Nutzen der Gemeinde? Oftmals ist das Abwägungssache. »Man muss schon überlegen, welchen Lockangeboten man nachgeben will«, sagte der Rathauschef.

Sommer ist deshalb froh, dass die Gemeinde bei Ansiedlungsanfragen künftig auf einen Leitfaden zurückgreifen kann: das Einzelhandelskonzept, das laut einem Beschluss der Gemeindevertretung zukünftig als Orientierungsgrundlage für die Entwicklung dienen soll. Für die Gemeinde war das laut Sommer nicht mit Kosten verbunden: Ein Sponsor, der vor zwei Jahren mit diesem Wunsch an die Gemeinde herangetreten sei, habe das Gutachten bezahlt.

Etwa 33,7 Millionen Euro Umsatz

Wie verteilen sich Angebot und Nachfrage in Mücke? Um das zu analyseren, hat das Unternehmen CIMA Beratung + Mangement GmbH, das sich auf Stadt- und Regionalentwicklung spezialisiert hat, im März und April 2020 online eine Bürgerbefragung durchgeführt, an der 316 Personen teilgenommen haben. Zudem wurden 43 Einzelhandelsbetriebe postalisch von der Gemeinde angeschrieben und zur Teilnahme an einer Umfrage eingeladen, die ebenfalls online erfolgte. Der Haken: Die Umfrage fand von Mitte März bis Ende April 2020 statt, also zu Beginn der Pandemie. Dass nur sechs Betriebe an der Umfrage teilgenommen haben, was einer Quote von 14 Prozent entspricht, führten die Gutachter daher auf die große Unsicherheit der Branche in dieser Zeit zurück. Dennoch ließen sich laut CIMA Erkenntnisse gewinnen, die in das Konzept eingeflossen sind.

Ein wichtiger fachlicher Begriff des Konzepts ist der Terminus der »Zentralität«. Er gibt an, wie viel Kaufkraft eine Kommune oder Region anzieht oder abgibt und setzt dazu Umsatz und Nachfragepotential miteinander ins Verhältnis. So liegt der Umsatz des Einzelhandels in Mücke, der etwa 10 000 Quadratmeter Verkaufsfläche umfasst, bei etwa 33,7 Millionen Euro im Jahr, während die Bürger der Gemeinde rund 50 Millionen Euro ausgeben. Damit kommt Mücke auf eine Zentralität von 68 Prozent, sprich: Es fließt Kaufkraft in umliegende Regionen ab.

Angesichts der Nähe der Mittelzentren Grünberg und Laubach sowie des Oberzentrums Gießen sei das nicht ungewöhnlich, heißt es im Gutachten. Dennoch zeige das Ergebnis bestimmte Entwicklungspontentiale auf, etwa im Bereich Gesundheit und Körperpflege. »Ohne einen Drogeriefachmarkt ist bei Drogerie- und Parfümeriewaren eine Versorgungslücke zu verzeichnen«, so die Gutachter. Allerdings seien hier gegebenenfalls »die Ausweitung des Randsortiments der Lebensmittelmärkte oder alternative Betriebskonzepte auf kleinerer Fläche« eine Option. Hintergrund dafür: die Ansiedlung von »dm« in Grünberg.

Wichtig für die Regionalplanung

Ein wichtiger Aspekt des Einzelhandelskonzeptes ist zudem die Definition eines »zentralen Versorgungsbereiches« in Merlau/Flensungen. Dieser erstreckt sich im Wesentlichen rund um die Bahnhofstraße, zwischen Stückweg und B 49, und ist laut Sommer auch für die Aufstellung des Regionalplans Mittelhessen von Bedeutung. Die Ausweisung zentraler Vorsorgungsbereiche, so der Bürgermeister, gehörte inzwischen »zum Standard der Regionalplanung«, da diese das Ziel verfolge, diese Bereiche zu schützen und zu stärken. »Hier soll keine Kaufkraft abgesaugt und nach außen transportiert werden«, fasste Sommer die Grundidee zusammen.

Das Konzept defininiert zudem »Netto« in Nieder-Ohmen und »Edeka« in Groß-Eichen als »solitärere Nahversorgungsstandorte, die eine wichtige Nahversorgungsfunktion erfüllen und deshalb ebenfalls möglichst erhalten und gestärkt werden sollten«.

Besonders wichtig für die künftige Entwicklung der Gemeinde Mücke dürfte daher die sogenannte »Ansiedlungsmatrix« werden, die das Einzelhandelskonzept beinhaltet. Tabellarisch ist dort aufgeführt, in welchen Bereichen welche Sortimente angesiedelt werden sollten, um eine sinnvolle Entwicklung voranzustreiben.

So sollen in dem zentralen Versorgungsbereich vorrangig Bekleidung und Wäsche, Unterhaltungselektronik, Bücher und weitere sogenannte zentrenrelevante Sortimente, die nicht zum Bereich der Nahversorgung gehören, angesiedelt werden. Geschäfte mit Nahrungs- und Genussmitteln sowie Drogerien sollten prinzipiell nicht in Gewerbegebieten Platz finden.

Versehen ist das Konzept mit zahlreichen Hinweisen zu Ausnahmen und Einzelfallprüfungen. Wie es sich in der Praxis schlägt, bleibt daher abzuwarten. Bürgermeister Sommer ist jedenfalls zuversichtlich. »Wir können künftig anhand der Matrix relativ einfach sehen, wo noch Kaufkraft vorhanden ist«, sagte er. Die Mehrheit der Anfragen lasse sich nun bereits mit einem Blick auf das Schema beantworten.



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