Der Handgriff sitzt. Die gesüßte Eiweißmasse quirlt aus dem Spritzbeutel. Ein kurzer Druck reicht aus, um den rohen Schokokuss auf die kleine runde Waffel zu setzen. Insgesamt 42 dieser Untersetzer sind auf dem Arbeitstablett aus Holz festgeklebt. Im zweiten Arbeitsgang erhält jedes Teil noch ein Krönchen als markantes Erkennungszeichen. Dann folgt das Eintauchen ins warme Schokoladenbad und das Abtropfen der überflüssigen süßen Masse. »Fertig ist der Klassiker«, sagt Wolfgang Keil.
Die Frage, wieviel Schokoküsse in unterschiedlichen Formen und bunten Verzierungen er schon in Form gebracht hat, entlockt ihm ein kleines Lächeln. »Das weiß ich nicht. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, sagt der 71-Jährige. Etwa 2500 der süßen Verführungen stellt er in Spitzenzeiten täglich her, und das seit 35 Jahren.
Entscheidung nachvollziehbar
Der gelernte Konditor hat für seine große Zahl an kleinen und großen Kunden eine Nachricht, die viele Liebhaber von Schokoküssen betrüblich stimmen wird. »Ich gebe zum Jahresende meinen Betrieb auf«, teilt er mit. Ein Entschluss, der nachzuvollziehen ist. Vor dem Älterwerden ist freilich niemand gefeit.
35 Jahre hat Wolfgang Keil mit seinen Schokoküssen vielen Süßmäulern eine Freude bereitet. Der Unternehmer aus Wingershausen ist bekannt - nicht nur in der Schottener Großgemeinde, sondern im gesamten Vogelsberg und in der Wetterau. Auch in Frankfurt, in Wetzlar oder in Marburg waren die Keilschen Anhänger und Verkaufswagen mit ihrer süßen Füllung auf vielen Festen und Märkten zu sehen. Ein willkommener Genuss im Vorbeigehen oder auch als Mitbringsel für Zuhause. Die Schokoküsse aus Wingershausen - alle von Hand gemacht - sie waren stets ein Renner.
Dass der Winterzauber am Sonntag die letzte Veranstaltung sein wird, bei der die Familie Keil die süßen Naschküsse anbieten wird, ist schon seit geraumer Zeit absehbar, wie Wolfgang Keil sagt. »Meine Kinder haben sich beruflich anderweitig orientiert.« Die Suche nach einem Nachfolger außerhalb des Familienkreises sei nicht erfolgreich gewesen. »Es gab einige Interessenten, aber außer unverbindliche Absichtserklärungen blieb nichts Zählbares übrig.« Seinen Betrieb wird er zum 31. Dezember abmelden. Dann gibt es auch keine Produktion mehr in seiner Fabrik. Schon allein wegen hygienischer Auflagen.
Fabrik? - Das sind drei Räume
Wobei der Begriff Fabrik Besucher verwundern wird, die sich erstmals vor Ort mit den süßen Schokoküssen eindecken wollen. Die Fabrik besteht aus einem Raum, einer umgebauten Garage, sowie einem kleinen Nebenraum, der vornehmlich als Lager dient.
Wolfgang Keil hatte zuletzt keine angestellten Mitarbeiter mehr. Dazu hat vor allem die Pandemie beigetragen, eine »schwierige Zeit«, denn alle Feste und Veranstaltungen wurden abgesagt. Im Team wurden früher manchmal bis zu 8000 Schokoküsse am Tag produziert. Der Bedarf war groß, wenn an Wochenenden gleichzeitig mehrere Märkte beschickt wurden.
Schokoküsse sind auch ein Saisongeschäft. Im Hochsommer ist die Widerstandskraft des süßen Eiweißkörpers, des Schokoladenüberzugs und der Verzierungen gegenüber hohen Temperaturen gering. So stellen der Herbst, das Frühjahr oder auch die Weihnachtsmärkte die Hauptsaison dar.
Die Anfänge des Betriebs von Wolfgang Keil gehen in die 1980er Jahre zurück. Damals produzierte schon jemand in Wingershausen Schokoküsse. »Ich erhielt ein Angebot, das Geschäft zu übernehmen«, erzählt Keil. »Davon versprach ich mir im Nebenerwerb ein zusätzliches Taschengeld.« Es kam anders. Die Entwicklung des kleinen Geschäftes verlief rasant. »Schon nach eineinhalb Jahren war das nebenberuflich nicht mehr zu stemmen. Es wurde mein Haupterwerb.« Wolfgang Keil weiß, was 35 Jahre in der freien Wirtschaft bedeuten. »Selbstständig heißt selbst und ständig«, sagt er. Wie viele andere Marktbeschicker ist er an Wochenenden besonders gefordert. Freizeit wird dann zwangsläufig klein geschrieben. »Und wenn am Samstagabend ein Anruf kam, dass noch Ware in einem Verkaufswagen benötigt wurde, ist schon mal öfters Nachtschicht angesagt gewesen. Und am Sonntagmorgen ging es weiter.«
Neuer Lebensabschnitt
Wenn Wolfgang Keil im neuen Jahr einen neuen Lebensabschnitt beginnt, ist das nach 35 Jahren natürlich mit einem Stück Wehmut verbunden. Aber er freut sich auch auf mehr Freizeit. Dann will er als begeisterter Motorradfahrer das genießen, worauf er in den vergangenen Jahren vielfach verzichten musste.