- Klassiker sucht man vergeblich im neuen Spielplan des Hessischen Landestheaters Marburg. Stattdessen gibt es eine Fülle von ambitionierten Uraufführungen, von denen zwei sogar in direkter Verbindung mit der Universitätsstadt stehen. Denn schließlich wird Marburg im nächsten Jahr 800 Jahre alt.
Eine Uraufführung widmet sich der berühmten Philosophin Hannah Arendt. In »Hannah! Das Erwachen eines politischen Bewusstseins« lässt der Autor Christian Franke die jüdische Publizistin, die 1924 in Marburg bei Martin Heidegger Philosophie studierte, auf die jüdische Schriftstellerin Rahel Varnhagen treffen, über die Arendt einst eine Biografie verfasst hat und die 100 Jahre vor ihr lebte. Die Premiere ist für den 11. Dezember vorgesehen. Das zweite Stück, das die Spielzeit am 11. Juni 2022 abschließen soll, befindet sich noch im Entstehungsprozess. Unter dem Arbeitstitel »800« hat die Marburger Stadtschreiberin Anah Filou bereits mit 100 Einwohnern gesprochen und will nun aus diesen Interviews ein Geburtstagsstück stricken, das Intendantin Carola Unser inszenieren wird.
Mit den ausgewählten Produktionen will das kreative Team um die Doppelintendanz von Unser und Eva Lange gesellschaftliche Diskurse zu den Themen Polyphonie und Gerechtigkeit anstoßen. Das Theater gebe den vielfältigen Stimmen einen Raum und beleuchte in vielseitigen Perspektiven die Gerechtigkeit, betonen die beiden bei der Vorstellung des Spielplans 2021/22. Dazu braucht es natürlich ein engagiertes Ensemble, das seine Stimme erhebt - wie es das Plakat der in Gießen geborenen und in Berlin lebenden Fotografin Annette Hauschild eindrucksvoll widerspiegelt.
Eröffnung mit Premierenreigen
Eröffnet wird die neue Saison gleich mit einem Premierenreigen. Auf das zeitgenössische Drama »Amsterdam« am 17. September, für das die israelische Autorin Maya Arad Yasur 2018 den Stückemarktpreis des Berliner Theatertreffens erhielt, folgt einen Tag später mit der Uraufführung »Das Xis wird nicht gehört« ein Angebot für Kinder ab drei Jahren. Auch die beiden nächsten Produktionen sind Uraufführungen. In »Schneckenweisheiten oder: Das Mittel gegen Einsamkeit« (ab 1. Oktober) darf Schauspieler Jürgen Helmut Keuchel, jahrzehntelanges Ensemblemitglied, seine Leidenschaft als Lyriker ausleben und wird dabei von Musikern unterstützt. Stadtschreiberin Filou steuert mit »Pollesch wäre das nicht passiert« am 2. Oktober ein weiteres Gegenwartsdrama bei.
Die Komödienposition ist mit Felicia Zellers »Der Fiskus« besetzt. »Fatima oder Die Befreiung der Träume«, das Familienstück zur Weihnachtszeit im Erwin-Piscator-Haus, stammt aus der Feder des bekannten Erzählers Rafik Schami. An gleichem Ort soll sich für die Junk-Oper »Shockheaded Peter« nach Motiven von Heinrich Hoffmanns »Struwwelpeter« im Februar 2022 der Vorhang heben. Mit »Bilder deiner großen Liebe« von Wolfgang Herrndorf und »Die Welt im Rücken« von Thomas Melle sind zwei Romanadaptionen für die Bühne vorgesehen. Exklusiv hat sich das Marburger Theater die Uraufführungsrechte für das Werk des in Frankfurt/Oder verliehenen Kleist-Förderpreises 2022 gesichert. Neu ist auch »Die Botschaft der Baumfrau«, die die Geschichte der Umweltaktivistin Julia Butterfly Hill erzählt, die 738 Tage lang einen Baum besetzte.
Man zeigt sich optimistisch, dass all die Projekte diesmal auch tatsächlich realisiert werden können. Die aktuellen Zahlen sprechen für sich. Die Inzidenz sinkt, sodass mit dem Musical »Hair« ab dem 12. Juni auf der Schlossparkbühne bereits in zwei Wochen Theater unter freiem Himmel geboten werden soll. Und auch die Zeichen für die Hessischen Theatertage ab dem 20. Juni stehen gut. Marion Schwarzmann